Freitag, 14. Juni 2013

Obstbrände 2013 oder: Von Zapfenpflückern und geplatzten Blasen

Seit Wochen sitze ich über ein paar aktuellen Obst- und Edelbränden und ausgerechnet jetzt platzt offenbar die Gansloser-Blase. Schöner Mist. Wer will da von interessanten neuen Bränden lesen, wenn doch ein richtiger Skandal die Bar- und Spirituosenbranche erschüttert?

Leider ist mein Beitrag zur Aufklärung der Vorwürfe gegen den Hersteller der Gansloser Edelbrände und des Black Gin gleich Null. Ich kenne die Wahrheit (und die meisten Beteiligten) nicht. Zum einen verlinke ich aber - das sollte erlaubt sein - auf die Beiträge von Fizzz, den Stuttgarter Nachrichten und von Herrn Fromm. Zum anderen soll hier aber gerechterweise auf die Stellungnahme der Herren Frey auf ihrer Homepage verwiesen werden.

Neben den behaupteten Unregelmäßigkeiten im Gansloserschen Geschäftsgebahren, die mir persönlich reichlich egal sind, richten sich die Vorwürfe ganz nebenbei auch gegen die Quelle(n) der Destillate. Ein Teil davon soll von Fremdherstellern zugekauft sein. Hm. Mir stellt sich die Frage, ob das eine große Ausnahme wäre oder ob nicht auch andere "Produzenten" so oder ähnlich verfahren. Bekannt ist doch z.B. dass eine große englische Destillerie gleich dutzendweise verschiedene Ginmarken im Auftrag herstellt. Die Markeninhaber vertreiben ihre Wacholder dann fast ausnahmslos aber ohne Hinweise auf deren Herkunft und suggerieren ganz im Gegenteil limitierte Kleinstmengen und Boutique Spirits - hochpreisig versteht sich - ganz nach dem Grundsatz "Die Qualität ist sehr gut und wenn der Kunde bereit ist den Preis zu bezahlen, ist es ein gutes Geschäft". "S´ gibt nix Bessres wie ebbes Guads", schreibt Gansloser auf seiner Homepage. Wenn man davon weiß, ändert das am zwar nix am Geschmack aber es bleibt irgendwie ein Gschmäckle, oder? Übrigens habe ich die Firma Gansloser um eine ergänzende Stellungnahme hierzu gebeten - wenn sie vorliegt, werde ich sie umgehend nachreichen.

Bevor wir dieses ziemlich schwarze Kapitel der neueren deutschen Schnapsgeschichte auf whatadrink! schließen und die Gerichte sprechen lassen und uns (noch) interessanteren Dingen zuwenden, sollten wir uns aber in Zukunft vornehmen ...

a) nicht mehr naiv jedem Marketinggeschrei blind zu vertrauen;
b) auch mal selbst nachzufragen oder gar vor Ort zu recherchieren;
c) zum Ausdruck zu bringen, dass von einem Fremdhersteller zugekaufte und nur unter eigenem Label etikettierte Spirituosen alles andere als authentische Manufakturwaren sind. Hersteller aller Art, die so vorgehen, sollten in Zukunft um ihren Ruf bangen...

So, jetzt aber endlich zum Schnaps. Den Aufhänger bildet der hier kürzlich schon erwähnte Steinpilz-Geist (40% Vol., 0,5l, ca. 28 EUR) der Firma Marder Edelbrände. In der Nase schon ziemlich genial steuert der Geist auch im Mixed Drink seinen waldigen Charakter mit ein. Ein Preis-Leistungs-Tip auch für den ambitionierten Koch.
Der dürfte vielleicht auch an Schokoladen- oder Kaffeegeisten interessiert sein - und das nicht nur zum Dessert. Zu Ersteren zunächst die gute Nachricht für alle Barkeeper: Der bewährte Mozart Chocolate Spirit Dry (40% vol., 0,7l, ca. 20 EUR) aus Österreich bleibt erste Wahl! Kakaonase, dann dunkle Schokolade und kein unangenehmes Alkoholbrennen. Perfekt. Knapp dahinter liegen die Kakao- bzw. Schokoladengeiste von Hubertus Vallendar (Tip: Parfum De Vie mit 71% Vol.im Zerstäuber) und Marder (jeweils 40% Vol., 0,5l, ca. 28 EUR). Vallendars leicht süßes Destillat lässt auf ein hochwertiges Grundprodukt (Weingeist?) schließen - Der Marder verwöhnt uns mit Milchschokolade, brennt ganz leicht nach, aber ohne sprittig zu sein. Total unterschiedlich zeigten sich die Kaffeegeiste (jeweils 40% Vol., 0,5l, ca. 29 EUR) aus den beiden Häusern. Vallendars 100% Arabica weckt Assoziationen an dunkel geröste Kaffeebohnen, was sich im Abgang verstärkt - Marders Variante ist zunächst trocken und unaufdringlich, mündet dann aber in Milchkaffee. Für mich sind das zwei echte Topdigestive.
Neben diesen doch eher exotischen Beispielen, stehen auch noch klassische Obstbrände zur Besprechung an. Zum einen präsentierte die wohlbekannte Brennerei Ziegler kürzlich gleich drei Neuheiten, die allesamt Cuvées aus Wildformen und Plantagenfrüchten sind. Im Detail sind das ein nicht alltäglicher, herbwürziger "Zwetschge- & Wildpflaumenbrand", der sich den Zusatz dry verdient hätte (43% Vol., 0,7l, ca. 70 EUR), dann ein vollfruchtig, saftiger "Williams und Wildbirne" (43% Vol., 0,7l, ca. 80 EUR), der aus Destillaten von gleich vier verschiedenen Birnensorten aus der Schweiz, Österreich, Slowenien und Südtirol zusammengestellt wird und letztlich ein zunächst zurückhaltender, dann aber mit feinster Aromenklinge auftretender "Sauerkirsch & Wildsauerkirschbrand" (43% Vol., 0,7l, ca. 95 EUR) - leichter, aber langer Marzipanabgang inklusive. Dass im Gegensatz zum traditionellen Obstler, bei dem in der Regel Äpfel und Birnen gemeinsam vermaischt werden, hier Einzeldestillate gefertigt und dann zum Cuvée entwickelt werden, darf ich noch ergänzend hinzufügen. Und: Die Wildfrüchte werden von sogenannten Zapfenpflückern eingesammelt. Das ist ein schöner Begriff und er erinnert mich irgendwie an die für den Likör St. Germain arbeitenden, französischen Holunderblütenpflücker mit ihren Fahrrädern und Berets.
Und jetzt: Obstbrände aus dem Holzfass. Nein, nicht aus dem Kastanien- oder Maulbeerfass. Von Fassbind gibt es seit geraumer Zeit schon die Reihe Les Bruts Des Fûts, die aus klassischen, aber im jeweils sortenreinen Holzfass gelagerten Obstbränden besteht. Also ein Williams aus dem Birnbaumholzfass, ein Kirsch aus dem Kirschbaumholzfass etc. Abgefüllt werden diese Farb- und Geschmacksexplosionen mit Alkoholgraden von über 50% Vol. - Fassstärke quasi! Meine Favoriten sind der goldgelbe Williams (hier Abfüllung 2011 mit 53,2 % Vol., 0,5l, ca. 55 EUR) und der fast unendlich lange, orangerote Kirsch (hier Abfüllung 2010 mit 54,5 % Vol., 0,5l, ca. 55 EUR) mit grandiosen Mandel- und Fassaromen. what a drink! Dagegen ist der Kirsch (Angostura) Rum Cask Finished aus der Les Cuvées Spéciales (Kirschbrände mit Fassfinish im Ex-Rum-, Sherry, Portwein und Whiskyfass) genannten Serie (41%, 0,35l, ca. 55 EUR) ein eher dezenter Vertreter mit fruchtiger Rumtopfnase und wenig trockenem Rum auf dem Gaumen. Gut aber subtil.

Zum Abschluss noch ein Kommentar zu einem Verfahren, dass mir ehrlich gesagt sehr missfällt. Seit einiger Zeit ist es Mode geworden, Obstbrände mit Fruchtauszügen (aus im Destillat eingelegtem frischen Obst) zu vermischen und so zwar äußerst fruchtige aber irgendwie doch verfälschte Spirituosen zu kreieren. Auf den Etiketten steht nämlich zumeist nichts zur Herstellungsmethode und der unbedarfte Konsument erfreut sich am besonders gelungenen Obstbrand, der eigentlich nur ein aufgehübschter Pseudobrand ist. Billig ist die - äh - Mischung auch nicht gerade...