Der Aperitif ist in unseren Breiten allzu oft ein etwas lieblos gewählter Trunk, der lediglich die Wartezeit auf die bestellten Speisen versüßen soll bzw. bestenfalls als Begleiter der Vorspeise(n) dient. Dass das nicht mal die halbe Wahrheit ist, zeigen uns unsere europäischen Nachbarn Frankreich, Italien, Griechenland, Spanien und auch Belgien oder die Schweiz mit ihren Aperitifs, Aperitivos und Apéros. Dort dienen zwar auch feste und flüssige Leckerbissen als appetitanregende Vorbereitung auf eine Mahlzeit (übrigens mittags UND abends), nur hat sich - insbesondere in Frankreich - eine vielschichtige Kultur gebildet, die neben den klassischen Aperitifgetränken wie Bitter, Sherry, Portwein, Anis und Wermut inkl. unzähliger Mixgetränke auch in unseren Breiten weniger verbreitete, süßere und auch bitterere Gattungen wie z.B. Pineau De Charentes, Pommeau De Normandie oder Quinquina umfasst.
Zu letzterer Gruppe zählt auch der in Deutschland keineswegs unbekannte "Lillet" in den bisherigen Versionen "Blanc" und "Rouge" sowie den limitierten Jahrgangsabfüllungen mit dem wohlklingenden Namen "Réserve Jean De Lillet". Aktuell ist davon die Ausgabe 2008 im Handel, für die aber auch rund der doppelte Preis aufgerufen wird. Der Hersteller ist die Firma "Lillet Frères" (seit 2008 bei Pernod Ricard) in Podensac bei Bordeaux, die 1887 den "Lillet Blanc" lancierte. Erst 1962 folgte der rote Bruder. Beide Produkte bestehen zu 85% aus einem Weincuvée. Beim "Blanc" kommen die Rebsorten Semillon und Sauvignon Blanc - beim "Rouge" Cabernet Sauvignon und Merlot - zum Einsatz. Die restlichen 15% bestehen aus verschiedenen Fruchtlikören, die aus spanischen Süßorangen, Bitterorangen aus Haiti und grünen Orangen aus Nordafrika (bzw. deren Schalen) unter Zugabe von Rohrzucker hergestellt werden. Abgerundet wird das Geschmacksbild jeweils mit Vanille, Sternanis und natürlich Chinarinde bzw. dem daraus gewonnenen Chinin. Nach der Vermählung der Einzelkomponenten wird der "Lillet" vor der Abfüllung in Flaschen noch 4-6 Monate in Barriquefässern aus Limousineiche gereift, die übrigens nur zweimal benutzt werden. Alle "Lillets" sind mit 17% Vol. versehen.
Mit diesen und noch weiteren Informationen zieht derzeit Deutschlands Brand Ambassador Nikolai Augustin (meisterschueler, Berlin) durch die Lande, um nicht zuletzt die durch den Erfolg von Aperol Sprizz gestiegene Nachfrage nach leichten, sommerlichen Drinks mit dem durchaus gut vermixbaren "Lillet Blanc" zu stillen. In Münchens "Goldener Bar", wo in dieser Woche der Auftakt der Reihe stattfand, kannte jeder der rund 35 anwesenden Bartender den "Lillet" und das nicht erst seit dieser in den "James Bond"-Filmen "Casino Royale" und "Ein Quantum Trost" im "Vesper" Martini als Wermutersatz nachgefragt wurde. Nicht zu letzt deswegen wird der "Lillet" hier und da gerne den Wermuts/Vermouths zugeordnet, was aber grundsätzlich falsch ist, da er kein Wermutkraut bzw. dessen Auszüge enthält.Vor dem anschließenden Crosstasting daher gab Bastian Heuser (barworkz, Berlin) einen Überblick über die "verstärkten Weine" (z.B. Portwein, Sherry, Madeira,...) und die "verstärkten und aromatisierten Weine" (z.B. Wermut, Quinquina und Enzian). Der "Lillet" zählt demnach zu den weißen bzw. roten Quinquinas. Produkte die ebenfalls in diese Kategorien fallen sind z.B. "St. Raphael" oder "Byrrh". Im Blindtasting hatten mir persönlich die roten Vertreter ("Byrrh"!) besonders gut gemundet. An der Stelle darf ich Bastians Hinweis auf die informative Webseite Vermoth 101 aufgreifen, die das Thema "Weinaperitif" erschöpfend behandelt.
Nach einer ausgiebigen Mixrunde zum Thema "Vesper" wurde noch der Neue bei "Lillet", der "Lillet Rosé", kredenzt. Auch diese Version besticht durch das ausgeklügelte und fein abgestimmte Verhältnis zwischen weiniger Fruchtigkeit und leichtwürziger Orangennote, die mir beim ersten Probiererle aber weniger präsent vorkam.
Da vom "Vesper" nun schon mehrfach die Rede war und das Thema "Kina Lillet" natürlich auch bei dieser Veranstaltung gestreift wurde, hier noch ein paar Anmerkungen hierzu. Der bis in die Mitte der 80er erhältliche "Kina Lillet", der Vorläufer des heutigen "Lillet Blanc", kam nicht erst durch Flemings Bond ("The bitch is dead now.") zu einer gewissen Berühmtheit. Vielmehr fand er bereits in der Fachliteratur des frühen 20. Jahrhunderts mehrfach namentliche Erwähnung. Klassisch ist v.a. die Verwendung im "Corpse Reviever #2" aus dem "Savoy Cocktail Book". Als Ersatz wird oftmals der in Deutschland nicht erhältliche "Cocchi Aperitivo Americano" empfohlen. Da die Offiziellen in Podensac nach der Rezeptänderung vor fast 30 Jahren vom bitter-süßen hin zum leichteren Aperitif offenbar wenig Verständnis für die Bedürfnisse der Generation "Cocktail Renaissance" haben, konnte ich vom Spirituosenhistoriker Mike Meinke (Triobar, Berlin), der vor nicht allzu langer Zeit gleich mehrere Flaschen "Kina Lillet" entkorkt und verkostet hat, erfahren, dass er bei seiner alten Version "eine weitaus kräftigere Kräuternote, bedingt durch die Bittertöne, und eine leichte Sherryanleihe von der Würzigkeit" im Vergleich zum aktuellen Produkt festgestellt hatte. Das gilt zumindest für die eine der acht Flaschen, die noch genießbar war. Einer eventuell limitierten "Kina Lillet"-Abfüllung z.B. zum 140-jährigen Firmenjubiläum 2012 würde auch ich durchaus eine Chance geben...
Bestens versorgt vom Team der "Goldenen Bar" ging so ein schöner Nachmittag zu Ende, der mir durchaus (wieder) Lust auf ein spritziges Weingemisch gemacht hat. A votre...!
Weitere Termine: 15.8. Berlin, 22.8. Hamburg, 29.8. Frankfurt, 30.8. Köln;
Einen schönen Überblick über den Brauch des Aperitifs in Frankreich, viele Informationen zu z.B. Vins Doux Naturels, Likörweinen, Pastis und Aperitifgetränken auf Weinbasis sowie zahlreichen Rezepten zu Speis und Trank beinhaltet das 1989 erschienene Buch "Die Kunst des Aperitifs" (ISBN 978-3817000135) von André Dominé ("Das ultimative Barbuch").
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