Donnerstag, 20. September 2012

Cocktails - Ein Jahrbuch oder: Da hat sich jemand richtig Mühe gegeben...

Auf Seite 110 rät Immunologe Dr. med. Peter Schleicher auf die Bitte um eine Empfehlung, wie denn dem schlimmsten Kater aus dem Weg gegangen werden kann, u.a. zu fettem Fisch oder einem Gläschen Olivenöl vor dem Ausgehen bevor er ultimativ vom Genuss von Mixgetränken abrät.

Diese nützlichen Hinweise (und vieles mehr) beinhaltet auf rund 130 Seiten das neue Buch Cocktails - Ein Jahrbuch, das das "Süddeutsche Zeitung Magazin", welches zuletzt mit den Titelstories über Rammstein und Angela Merkel Wirbel verursacht hatte, gerade auf den Markt gebracht und gestern Abend offiziell in Münchens Goldene Bar vorgestellt hat. Nun habe ich schon öfter gesehen, dass besonders gelungene Inhalte von Magazinen und Zeitungen im Nachhinein zu einem Buch zusammengefasst in meiner kleinen Bibliothek gelandet sind. Allerdings stehen sie da noch immer  "gebraucht, wie neu", um es im Amazonjargon auszudrücken. Dass das mit dieser kleinen Fibel genauso laufen könnte, ist allerdings ausgeschlossen. Denn man hat sich hier besondere Mühe gegeben.
Zu jeder Cocktailzutat wurde ein grafisches Icon entwickelt. Diese Bildchen werden für den jeweiligen Drink dann sozusagen übereinander gelegt und ergeben ein ganz spezielles, einzigartiges Ornament, welches wiederum zu einem Muster vervielfacht die Illustration zum Rezept ergibt. Aha. Nicht nur zum Mitdenken wird angeregt, sondern auch zum Mitgucken. Das nach außen hin zunächst unscheinbare Werk wird so zu einem der schönsten Cocktailbücher überhaupt.

Aber auch der redaktionelle Inhalt kann sich sehen lassen. Neben Rezepturen von Klaus St. Rainer, Stefan Gabányi, Ferdinand Lammerer, Mario Zils, Ago Perrone, Joanna Kent, Chris Doig, Roman Milostivy, Maximilian Hildebrandt und SZ-Chefkoch Hans Gerlach finden sich eine ganze handvoll Texte rund um das stilvolle Trinken u.a. von Lars Reichardt, Stefan Gabányi und Kerstin Greiner. Dem Schorle wird ebenso gehuldigt - gleich in 54 Variationen (!) - wie dem winterlichen Heißgetränk, diversen Sprizzneuauflagen oder dem kalten Kaffee. Ein kleines Charles Schumann-Interview durfte auch nicht fehlen. 
Aber fragen wir doch die Protagonisten selbst. Zunächst stand mir "Stil leben"-Redakteurin Kerstin Greiner Rede und Antwort:

whatadrink: Frau Greiner, wer hatte die Idee zum Cocktailbuch des "SZ-Magazins"?

Kerstin Greiner: Wir haben über die Jahre viele Beiträge zu diesem Themenbereich gemacht. Das Material war also schon da. Die Idee entstand dann eigentlich in mehreren Redaktionssitzungen. Aber trotzdem ist es dann eine lange Zeit harter Arbeit bis Inhalt und Gestaltung zusammenpassen und wir in Druck gehen können. Da müssen gute Leute zusammenarbeiten bis man aufwändige Sachen wie z.B. den Ausklappteil in der Mitte des Buchs für die Schorlen realisieren kann. Und da gibt es dann auch mal Kämpfe. Bei den Schorlen hatten wir 100 wunderschöne Rezepte, aber die passten dann nicht alle rein, da man dann ja noch weiter hätte ausklappen müssen. Aber uns war es wichtig, dass wir das Beste zusammenfassen können, noch tolle Texte dazustellen und dass es grafisch so schön ist, dass man es gerne zuhause hat.

wad: Journalisten werden gerne in eine engere Beziehung zu Bars gebracht. Mit Klaus St. Rainer und Stefan Gabányi haben zwei Schumänner mittlerweile eigene angesehene Bars in München. Welche ist denn Ihre Lieblingsbar?

KG: Das kann eigentlich gar nicht so sagen, weil ich diese drei Bars schon sehr, sehr gerne mag und ich auch glücklich bin, dass alle drei so unterschiedlich sind, dass man sich nicht zwischen der einen oder anderen entscheiden muss. Es ist natürlich so, dass wir mit dem Schumann's eine sehr lange Tradition haben. Die "SZ" war ja früher mal sehr nahe dort beheimatet. Und wir haben die Genese des Personals natürlich auch mitbekommen. Zudem nutzen uns die Verbindungen, die gerade diese Barmänner haben. Als wir z.B. nach Sprizzalternativen suchten, war klar, dass uns da ein Italiener weiterhelfen könnte. Aber ich muss auch mal sagen, dass wir hier in München eine Barlandschaft und Barkultur haben, die Ihresgleichen sucht.

wad: Das stimmt. Und es gibt trotzdem immer wieder Neues und immer wieder Steigerungen.

KG: Ja, wir haben hier eine starke Konsistenz. Die Leute sind da, arbeiten hart und vor allem ist ihnen ihre Arbeit auch sehr wichtig. Mit dem Klaus haben wir z.B. eine Produktion über kalte Kaffees gemacht. Die Fotos dazu wurden in Amsterdam produziert. Uns ist die Optik bei solchen Dingen ja auch immer wichtig. Klaus ist dann mit nach Amsterdam, um die Fotoproduktion zu überwachen und um sicherzustellen, dass der Drink dann auch genauso so aussieht, wie er aussehen muss, und um dem Fotografen genau zu erklären, wo ein Tropfen sein muss und wie die Nuss gerieben werden muss. Da ist einfach großer Ehrgeiz und ein Verlangen nach Perfektion dahinter.

wad: Den Barkeepern wird - aus ihrem eigenen Lager übrigens - manchmal vorgeworfen, dass sie sich und ihren Mikrokosmos zu wichtig nehmen würden. Schaut man aber auf die Resonanz von außen - also das Feedback der Gäste - so kann man sehen, dass die das auch ernst nehmen. Ich übersetze den Begriff serious drinking daher gern mit ernsthaftes Trinken.

KG: Ja natürlich. Wir sehen aber auch alle Bereiche. Egal, ob wir Mode anschauen oder Reisen oder Essen. Wir nehmen das alles sehr ernst. Das ist vielleicht auch das Besondere am "SZ-Magazin", dass wir die Lifestylethemen genauso ernst behandeln wie Sport oder Politik.

wad: Zum Abschluss noch eine Frage. Das Buch wird ja nicht verschenkt. Wer soll es kaufen? Wer soll es zuhause haben?

KG: Ich denke, alle Menschen die Spaß an schönen Dingen haben, die gerne gut Essen, die gerne gut Trinken, die aber auch gerne etwas Schönes in der Hand halten und etwas Schönes anfassen, die Fotografie schätzen und die sagen: "Hey! Da haben sich Menschen richtig Mühe gegeben und zwar in jedem Bereich.". Das sind nicht nur Spezialisten, die hinter der Bar stehen oder vor der Bar sitzen. Viele Drinks da drin sind ja auch sehr einfach und man muss noch nicht mal Shakern können.

wad: Vielen Dank und viel Erfolg!
Frau Greiners letzter Satz macht mir Hoffnung. Ich denke, es war eine gute Anschaffung nicht nur für den Coffee Table, sondern auch für meine Hausbar. Den vielgelobten Klaus St. Rainer hab ich natürlich auch noch um ein paar Worte gebeten.

wad: Klaus, das brandneue Cocktails - Ein Jahrbuch hat mir schon beim ersten Durchblättern sehr gut gefallen. Wieviel Klaus St. Rainer steckt da insgesamt drin?

Klaus St. Rainer: Vom Input her waren es so grobgeschätzt vielleicht 70%. Aber es ist ja eine Art Zweitverwertung von bereits erschienen Artikeln des "SZ-Magazins", bei denen ich zum Teil eben schon mitgewirkt hatte. So ist mein Anteil relativ groß geworden. Aber es waren ja immer schöne Arbeiten an denen ich gerne teilgenommen habe. Der Bereich ist über die Jahre auch besser und professioneller geworden. Los ging es mit Sachen, bei denen man innerhalb von einer Woche entschieden hatte "So, das machen wir." und dann wurde schnell ein Fotoredakteur vorbeigeschickt und ich habe zweidrei Drinks hingezaubert. Beim letzten Projekt haben wir mit Qiu Yang, einem international bekannten Fotografen, in Amsterdam gearbeitet. So ist das gewachsen und ich denke, dass mein hartnäckiger Einfluss auch eine Rolle gespielt hat. Und das "SZ-Magazin" ist eben offen und kreativ genug, das aufzunehmen und sinnvoll umzusetzen und v.a. auch mal einem Bartender zuzuhören, was viele nicht machen. Einen Bartender spricht man an, greift ein Rezept ab, macht schnell ein Foto und das war es dann. Es steckt aber mehr dahinter. Um Köche und Kochrezepte wird viel Aufwand gemacht und da finde ich, sollten Bartender, Cocktailrezepte und Cocktailstrecken nicht schlechter dargestellt werden. Das "SZ-Magazin" hat das eben verstanden und super umgesetzt.

Die Idee der Grafikerin fand ich auch großartig. Aber nicht nur die Idee an sich, sondern dass alles bis zum Ende konsequent durchdacht wurde. Ich war da beratend mit dabei und es war nicht einfach mit der Auswahl der Aromen, wenn z.B. ein Drink eigentlich nur aus zwei Zutaten besteht. Am Ende sollte es ja ein Muster ergeben. Aber selbst da war die Designerin noch kreativ und hat z.B. aus Schmelzwasser noch ein Symbol gemacht. Die Drinks sind ja nicht schlechter, weil sie weniger Zutaten haben. Übrigens wurde die erste Auflage des Buches eingestampft, weil man mit der Bindung nicht zufrieden war. So etwas gefällt mir. Das ist Perfektionismus, wie ich ihn auch lebe und liebe und deshalb bin ich auch stolz und froh, dass das Buch so schön geworden ist und hier bei uns präsentiert wird.

wad: Mit Kerstin Greiner habe ich grade kurz erörtert, dass das "SZ-Magazin" Dinge wie Barkultur, Cocktailkunst und den Barkeeper sehr ernst nimmt, und das so ein bisschen im Widerspruch zu dem Vorwurf, dass sich die Barszene zu ernst und zu wichtig nehmen würde, steht.

KSR: Ich finde, da besteht ein großer Unterschied zwischen zu ernst und zu wichtig. Jeder Bartender sollte seinen Beruf ernst nehmen. Dann kann man auch stolz sein auf seine Arbeit. Das zu kann man dann weglassen. Ich finde es schön, wenn Bartender ihre Idee, ihr Konzept, ihr Team oder ihre Persönlichkeit repräsentieren. Nur die werden uns und unseren Beruf weiterbringen und so auch für unser Cocktailzeitalter verantwortlich zeichnen. Darum ist es auch nur wünschenswert, wenn viele Bartender sich und ihren Beruf ernst nehmen.

wad: Zwei Dinge sind mir beim ersten Schmökern aufgefallen. Zum einen wird sehr wenig über Technik geschrieben. Das setzt voraus, dass der Leser - sofern er nicht nur von der Optik gefangen ist - schon ein gewisses Niveau in Sachen Know-How mitbringt.

KSR: In gewisser Weise ja. Es ist in dem Buch so, dass bewusst auf den üblichen Vorspann mit den Fragen "Was brauche ich?", "Was ist ein Rührglas", usw. verzichtet wird. Das haben wir weggelassen, weil das nicht unbedingt sein muss. Wir haben dafür auf den letzten Seiten das ABC des Bartenders, das ich für das Buch neu verfasst habe. Das ist einer der wenigen Teile, der nur für das Buch produziert wurde. Das hat mir die Möglichkeit gegeben  noch ein paar Sachen klarzustellen, die mir wichtig waren, auf Irrtümer oder Unrichtigkeiten hinzuweisen, die mir schon lange ein Anliegen sind, z.B. dass man nur grüne Oliven mit Stein verwendet usw. So konnten wir auf subtile Weise auch eine gewisse Education einfliessen lassen. Kreativität und die Befreiung von Dogmen rüberzubringen war mir dabei eben auch wichtig.

wad: Zum anderen war mir aufgefallen, dass aus der Quelle Rainer/Gabányi viele Rezepte mit Sake im Buch enthalten sind. Wie kam es dazu?

KSR: Das muss man auch rückblickend betrachten. Diese Rezepte stammen aus einem Magazinbeitrag, der produziert wurde, als wir beide noch im Schumann's gearbeitet haben. Damals haben wir die Idee von Williams mit der 3-Bottle-Bar neu interpretiert. Wir haben eben Sake, roten Vermouth und Gin genommen und daraus sechs oder acht Rezepte gemacht, die 2009 im "SZ-Magazin" veröffentlicht wurden. Die finden wir jetzt bei den Frühlings- bzw Frühsommerdrinks. Die Idee, die Rezepte im Buch nach den Jahreszeiten zu sortieren, ergab sich eben auch aus dem jeweiligen Veröffentlichungsdatum des Magazinbeitrags. Das muss man vielleicht ein bisschen dazu erklären.

wad: Darum heißt es ja auch Jahrbuch und nicht KSR's Best 101 Cocktails. Vielen Dank.

In diesem Sinne genehmige ich mir erstmal ein großes Glas bestes Öl aus der Mikroproduktion eines privaten münchnerisch-griechischen Olivenhains. Aber das ist schon wieder eine neue Geschichte...

3 Kommentare:

  1. Feiner Artikel und ich finde das Buch auch sehr Schmuck, allerdings ist die persönliche Präferenz von Herrn Rainer durchaus herauszulesen....
    Erfrischend, was der Süden in seiner Zeitung so macht....

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  2. Wo kann man das Cocktail-Buch denn kaufen? Bin schon ganz heiß drauf ;)

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    1. Na, hier...

      http://www.amazon.de/Cocktails-Ein-Jahrbuch-Kerstin-Greiner/dp/3864970849/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1349036461&sr=8-1

      ...oder hier...

      http://sz-shop.sueddeutsche.de/mediathek/shop/8098.jsp;jsessionid=BA12129CF27E0BDEC7EEB346959B24DB.rilke:9009

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