Samstagabend in einer 40.000-Einwohner-Stadt. Ein 4-Sterne-Hotel. Zu dritt betreten wir nach einem opulenten Nachtmahl die Hotelbar und nehmen an einem freien Tisch Platz. Der Barmann gibt drei Karten aus. Da ich etwas matt bin, fällt mir spontan ein Gin & Tonic (weiter: GT) als zu meiner Verfassung passendes Getränk ein. Beim Einmarsch hatte ich zudem eine Kopfüber-Gordon's Gin-Flasche an der Wand gesehen und irgendwo war ein Schweppes-Logo drauf. Als der Keeper also wieder erscheint - übrigens ein netter, junger Herr Anfang 20, schwarze Hose, schwarzes Hemd,
Spätestens hier wundert sich der aufmerksame Leser über mein Verhalten. Zu erwarten gewesen wäre doch eher, dass ich aus dem Fauteuil aufspringe, den runden Tisch mit Pseudomarmorplatte am gußeiseren Fuß packe, ihn in die Höhe reiße und wutentbrannt den Cocktailmixer mit den Worten "Ich bin Judge Dredd und Du bist auf ewig verflucht!!!" zur Flucht oder zumindest zum nochmaligen Überdenken seiner soeben ausgesprochenen Frage auffordere. Doch nichts davon. Während der Boy (es MUSS ein verirrter Liftboy gewesen sein) meine Bestellung inkl. Sonderwunsch notiert, fällt mein Blick zurück zu meinen Tischgenossen, die - wie sollte es anders sein - beide ebenfalls GT bestellen und dabei jeweils die Frage nach Eis bejahen. Boy mit Bestellung ab.
An dieser Stelle ein Exkurs. Kennen Sie sogenannte Side-By-Side-Kühlschränke für das traute Heim? Also diese absolut stylischen, platzfressenden Frigoungetüme mit zwei Türen und - tatatata! - einem eingebauten Eiswürfelzubereiter? Hm. Habe ich tatsächlich Eiswürfelzubereiter geschrieben? Was da rausplobbert ist statt mächtiger Solid Cubes im besten Fall als bemitleidenswerte Eiskrümel zu bezeichnen, die eine Schmelzzeit von ca. 8-10 Sekunden haben.
Ok, zurück zum Text. So einen Megakühlschrank hatte der Boy eh nicht zur Verfügung. Wo er dann die drei Eiskrümel mit einem Durchmesser von jeweils 10-12 Millimetern her hatte, weiß ich nicht. An jeder Nachttanke, wird man 24 Stunden und 365 Tage im Jahr mit besserem Würfeleis ausgestattet. Diese mikroskopisch kleinen Eisfragmente trieben - zumindest kurzzeitig, bis sie wieder ihren originären Aggregatzustand annahmen (Dilution!) - in unseren vom Boy servierten "Drinks". Das Mischungsverhältnis wollen Sie wissen? Je 2cl Gordon's mit satten 37,5% Vol. in einem 25cl-Longdrinkglas aufgegossen mit 22cl Schweppes Tonic - 1:11 also. Das ganze in Raumtemperatur. Bei anderen Gelegenheiten bevorzuge ich das Verhältnis 1:1. Aber ok.
Den mitgelieferten Trinkhalm (den niemand am Tisch bestellt hatte!) legte ich behutsam zur Seite bevor ich das pisswarme Nass in mich schüttete. Meine Begleiter zuckten die ganze Zeit über weder mit der Augenbraue noch ließen sie sich zu einer Bemerkung über den gerade erlebten Perfect Serve hinreißen. Ich bezahlte die Rechnung an der Theke, um einen ausgiebigen Blick über dieselbe werfen zu können. Dort entdeckte ich aber nur drei Schalen mit Barfood (sprich: gesalzenen Rösterdnüssen), das man uns aber nicht angeboten hatte.
Fazit: Das war eine Reise von der sicheren Position einer GT-Bestellung zu hellem Wahnsinn und zurück in 4 Sekunden. Ich gab dem Boy ordentlich Trinkgeld.
Aber was lehrt uns diese Episode? - Vieles. Zum einen gibt es noch viel zu tun für Brandambassadoren und Cocktailteacher. Zum anderen hat der Durchschnittsgast null Ahnung von nichts. Ich möchte mir nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn uns der Boy nach der persönlich präferierten Ginmarke gefragt hätte und uns dann was zum dazu jeweils passenden Tonic vorgeschwurbelt hätte.
A propos GT. In meiner bescheidenen Hausbar finden sich derzeit rund 15 Gins und knapp über 30 verschiedene Tonics bzw. Softdrinks, die sich als Tonicwater bezeichnen und in Fläschchen bzw. Dosen (Iiiiih!) unter 0,3l-Inhalt gefüllt wurden. Ein Mengenverhältnis, das jeden Gin-, Tonic- oder GT-Blogger zum Durchdrehen bringt. Die Tonics hab ich mir übrigens mit einem Rundgang durch ein paar Münchner Fachgeschäfte und nur EINER Auslandsbestellung verschafft. Dazu kann ich noch rund zehn Tonics auswendig aufsagen, auf deren Bezug ich verzichtet habe. Aber ich bin ja kein Gin-, Tonic- oder GT-Blogger und finde Gin eh völlig überbewertet.
Der Fieberbaum goes Germany
Was tippe ich mir also aktionistisch die Finger wund? Unter den diversen Tonics finden sich auch die drei Varianten des britischen Herstellers Fever-Tree, die mittlerweile - lang hat es gedauert - flächendeckend in Deutschland verfügbar sind. Und eben Fever-Tree hat im letzten Jahr mit dem Handpicked Elderflower Tonic Water seinen jüngsten Spross ins Feld geschickt. "Handpicked"? Das klingt verdächtig nach den Männern mit Baskenmütze und Fahrrad, die der Sage nach die Holunderblüten für St. Germain Holunderblütenlikör pflücken.
Da ich ein wissbegieriger Mensch bin, habe ich die Gelegenheit genutzt mich mit Firmengründer Tim Warrillow zu unterhalten, dem ich zunächst mein Leid mit den täglich neu aufpoppenden
wad!: Tim, wenn man mit Ginproduzenten spricht, kommt man irgendwann zum Punkt Botanicals und woher welche davon stammen. Wenn man dann frägt, wie sie denn an das Zeug aus aller Herren Länder kommen, so werden die Herrschaften eher schmallippig. Das fällt dann unter Betriebsgeheimnisse. Können Sie mir da mehr dazu sagen?
Tim Warrillow: Nun, wir haben herausgefunden, dass Chinin aus Peru stammt und das beste an der Grenze zwischen Kongo und Ruanda angebaut wird. Ich war persönlich dort, was schon eine Erfahrung für sich ist, und seit Anfang an beziehen wir unser Chinin direkt aus dem Kongo. Interessant war übrigens, dass man mir dort erzählt hat, dass wir der einzige Getränkehersteller sind, der Chinin dort einkauft. Schweppes hat das für seine spanische Produktion früher gemacht. Trotz der besseren Qualität ist man aber letztlich zu anderen Zulieferern gewechselt. Der Preis hat dabei natürlich auch eine Rolle gespielt.
wad!: Ich denke, dass die alternativen Tonics und Limonaden aus England auch den Markt für alternative Softdrinks in Deutschland, wenn schon nicht beeinflusst, dann zumindest stimuliert haben. Ich hatte, als es vor einigen Jahren um Rezept/Herstellung/Abfüllung eines alternativen Colas in Deutschland ging, einen Kontakt zwischen einem Abfüller und einer Interessengemeinschaft herstellen können, was dann tatsächlich zu einem heute noch marktgängigen Produkt geführt hat. Die Vielzahl an Gingerbieren, (Bio)Limonaden und sonstigen Softdrinks, ob nun klassischer Filler oder eher Standalone, macht mir sehr viel Spaß.
TW: Das Ginger Ale, dass Sie da trinken, hat auch eine ziemlich große Entwicklungsarbeit mit sich gebracht. Wir nutzen heute drei verschiedene Ingwersorten. Bei der Entwicklung haben wir mit Ginger Hunters gesprochen - ja es gibt richtige Pflanzenjäger, die rund im Welt touren auf der Suche nach raren und interessanten Früchten.
wad!: Zum Ingwer hab ich auch noch eine Frage. Hersteller von z.B. Ingwerbier oder auch Destillateure, die einen Ingwerbrand herstellen, sagen mir immer, dass es mit dem Ingwer gewisse Schwierigkeiten gibt. Und wenn ich sage, wieso, Ihr kauft das Zeug doch auf dem Weltmarkt ein, heißt es immer "Nein, nein. Das ist nicht so einfach. Wir brauchen frische Ware" oder "Wir brauchen eine bestimmte Sorte." Ein Likörhersteller hat mir in diesem Zusammenhang einmal erzählt, dass er mehr als zehn Ingwersorten ausprobiert hat und nur eine hat in seinem Produktionsprozess funktioniert. Ist das übertrieben oder können Sie das nachvollziehen?
TW: Eine Wahrheit ist, dass die verschiedenen Züchtungen bisweilen völlig unterschiedliche Aromen mitbringen und sehr unterschiedlichen Charakter haben. Was man im Supermarkt kauft, ist chinesischer Ingwer. Der wird nach Gewicht verkauft. Also wird der extrem mit Wasser vollgepumpt, damit er saftig und schwer ist. Wir nutzen Sorten, die nur wenig Saft ausgeben, aber dafür intensive Aromen liefern. Mittlerweile haben wir sehr viel Erfahrung gesammelt. Unser Ginger Beer ist z.B. von Haus aus ziemlich trüb. Andere Hersteller nutzen ein spezielles Mittel, das ihr klares Ginger Beer in ein trübes verwandelt und um zu Schärfe zu kommen, wird Chili verwendet, was einen kurzen Burn bringt. Die Leute denken: Ah, das ist der scharfe Ingwer. Aber natürlicher Ingwer hat einen langen Nachgeschmack. Wir haben das Segment mitentwickelt und vertreten heute die Fraktion, die ausschließlich natürliche Ingredients verwendet.
(Tim Warrillow mit dem Mixo-Award)
wad!: Zuletzt waren Cask-Aged Gins der letzte Schrei. Vielleicht ist das der Punkt, an dem ich mich wieder mehr für Gin begeistern kann. Denken Sie doch mal über ein spezielles Tonic dazu nach.
TW: (lacht) Warum nicht? Aber sehen wir doch mal auf jüngere Gingeschichte zurück. Das sind nur 10 bis 15 Jahre. Ich denke, dass wir noch ganz am Anfang einer Ginrenaissance stehen und es noch ein langer Weg ist. Da werden noch viele interessante Entwicklungen auf uns zu kommen.
wad!: Dann lassen Sie uns noch über neue Produkte sprechen. Sie haben ein Elderflower Tonic gemacht?
TW: Ja. Das haben wir im UK schon vor längerer zeit rausgebracht - in Deutschland erst jetzt. Nun, Holunderblüten sind eine klassische Zutat für englische Softdrinks und selbstgemachte Limonaden. Wir wollten ein neues Tonic, aber die Holunderblüten sollten den Geschmack des Tonics und auch eines möglichen G&T nicht overpowern. Die Holunderblüten sollen also nur einen kleinen, interessanten Touch dazu geben. Das ist vielleicht keine Geschmacksrichtung für die ganze Welt, aber in Deutschland sollte man das verstehen. Wir haben da große Hoffnungen.
wad!: Ich trinke Ihr Mediterranean Tonic gerne als kleine Erfrischung. Das hat auch nur einen kleinen Touch. Aber der macht es eben interessant. Und das variiert von Tag zu Tag bei mir - mal stehen die Gewürze mehr im Vordergrund und mal die Citrusnoten. Und das Ding ist super geeignet bei floralen Gins.
TW: Ja genau. Wir haben das ja auf Bitten der Vodkaindustrie gemacht. Freut mich, dass es Ihnen schmeckt. Was sagen Sie zum Ginger Beer?
wad!: Nun, ich liebe Rum. Aber Rum & Coke geht bei mir gar nicht. Für einen Dark & Stormy oder ähnliches braucht es natürlich ein sehr gutes Ginger Beer.
TW: Ich glaube, Dark & Stormy ist noch relativ unbekannt. In den USA haben wir großen Erfolg mit Moscow Mule.
Undsoweiter. Ich will den geneigten Leser nicht weiter langweilen oder gar vergraulen. Auf jeden Fall war es sehr aufschlußreich mit Tim zu plauschen und selber auch noch die ein oder andere Undergroundinformation rauszulassen. Falls er mich für einen Vollidioten gehalten hat, hat er es sich - ganz smarter Gentleman - nicht anmerken lassen. Tim war natürlich besonders stolz 2014 auch noch einen Mixology Award abgestaubt zu haben. Gratuliere.
Mir ist bewusst, dass mancher beim Überfliegen dieser Zeilen gedacht hat: "Was labert der eigentlich über fcuking Elderflowerzeug. Das hat Thomas Henry doch schon seit Jahren laufen." Stimmt. Daher zum Abschluss noch eine kurze Gegenüberstellung:
Fever-Tree Handpicked Elderflower Tonic Water - Frischer Citrusduft, feine Perlage mit einem Blumensträußchen zu Beginn, dann herrscht die angenehme Säure, langer Abgang, die Säure ist weg, Chinin, Chinin, Chinin.
Thomas Henry Elderflower Tonic - Weniger intensiver Duft, grobperligere Struktur, weniger Blume, runder, etwas süßer, dann herrscht Säure vor, die bleibt dann auch lange erhalten, spät kommt nur noch Chinin durch.
Und, weil es kein Tonic Water, sondern eine Elderflowerlimo ist:
Fentiman's Wild English Elderflower - Zurückhaltend in der Nase, schöne Perlage, mehr Holunderblüte aber nicht zu blumig, sondern fruchtiger, im Abgang säuerlich, rund und schön auch ohne Chinin.
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