Der "Horse's Neck" (oder auch "Horses' Neck") war definitiv mein Sommerlongdrink 2011. Das ist keine große (und auch keine kleine) Sensation, war für mich aber Anlass genug dem Drink einmal auf den Grund zu gehen. Das heutzutage weitverbreitete Rezept sieht bekanntermaßen so aus:
5-6cl Bourbon Whiskey
2 Dashes Angostura Bitters
Ginger Ale
Glas: Highball/Collins
Deko: Zitronenspirale
Die Schale einer ganzen Zitrone wird spiralförmig in einem Stück abgeschält und dann so ins Glas "gehängt", dass ein Ende über den Glasrand hinausragt. Eiswürfel, Bourbon und Bitters dazu, mit Ginger Ale auffüllen und kurz umrühren.Blicken wir auf diese doch relativ simple Rezeptur, so stehen wir auch gleich vor einem historischen Mysterium: Der Drink enthielt zunächst offenbar weder Bourbon noch Bitters, sondern war eigentlich nur ein durch die Zitronenspirale aufgepepptes Ginger Ale! Die Bezeichnung leitet sich von der über den Glasrand ragenden Schale ab, die - leicht eingerollt - durchaus dem eleganten Kopf eines rassigen Rennpferdes ähneln kann (auf dem obigen Foto - naja - eher nicht). Wohl auch nur wegen diesem einprägsamen Namen und dem damit einhergehenden Bezug zum seinerzeit äußerst beliebten Pferdesport fand das alkoholfreie Getränk Einlass in zahlreiche Publikationen des ausklingenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Mehr dazu und zum aufsehenerregenden "Billing's Horseback Dinner" findet sich hier.
Der 2010 erschienene Leitfaden "Cocktailian" bestätigt die Geburt als "Mocktail" und verweist bezüglich der alkoholischen Version auf "Harry Johnson's Bartender's Manual" (1888), wo bereits die heute aktuelle Zusammensetzung wiedergegeben wurde. In der mir vorliegenden Ausgabe von 1900 steht geschrieben:
Horse's Neck
(Use a large size fizz glass.)
Peel a lemon in one long string, place in glass, so that one end hangs over the head of glass;
2 or 3 dashes of bitters (Boker's genuine only);
1 wine glass whiskey, rye, Scotch, or Irish, as requested;
3 or 4 lumps of broken ice;
Fill up with syphon vichy, or ginger ale, if required.
So weit - so gut. Interessanterweise führen eine ganze Reihe (insbesondere später erschienener) renommierter Cocktailbüchlein lediglich das alkoholfreie Pferd (z.B. "Modern American Drinks" von George J. Kappeler - 1895, "Drinks" von Jacques Straub - 1914, "Recipes" herausgegeben von der "Chicago Bartenders and Beverage Dispensers' Union" - 1945, "688 Recipes For Drinks" herausgegeben von der "Herbert Jenkins Limited" - 1934, "Jack's Manual" von Jacob A. Grohusko - 1933, "Bottoms Up" von Ted Saucier - 1951) während praktisch parallel dazu andere Quellen Whiskey, Brandy, Rum oder Gin und zum Teil auch Bitters hinzufügen (z.B. "Der Mixologist" von Carl A. Seutter - 1909, "World Drinks" von "Cocktail Bill" Boothby - 1934, "The Saloon In The Home..." von Ridgely Hunt & George S. Chappell - 1930, "What'll Have?" von Julien J. Proskauer - 1933). Ein wenig aus der Reihe tanzt ein Werbeheftchen von "Dr. Siegert's Angostura Bitters" (1908), wo der "Horse's Neck" gleich zweimal auftaucht: Einmal die bekannte Version ohne Spirituosen und ohne Bitters (!) - und einmal die folgende außergewöhnliche Beschreibung:
"Place square block of ice and the peel of one lemon in tall glass; add one bottle ginger-ale; put one loaf of sugar in teaspoon and saturate thoughly with Angostura Bitters. Drop the sugar and Bitters gently on top of the ice and lemon peel so that the Bitters will percolate slowly through the drink."
David A. Embury gibt in seinem großartigen "The Fine Art Of Mixing Drinks" (1948) eine Erklärung für das beschriebene Rezeptedurcheinander. Zunächst wäre der "Horse's Neck" ein Whiskeydrink gewesen, der dann zu einem Prohibitiondrink - eben unter Verzicht auf den Whiskey - wurde. Anschließend kam nach Embury die Ginversion hinzu. Die alkoholfreie Variante heißt bei ihm "Plain Horse's Neck" und die mit Gin, Scotch, Irish, Rye, Rum, Applejack oder Bourbon zubereitete "Horse's Neck With A Kick". In Robert Vermeires "Cocktails - How To Mix Them" (1922) nennt sich dieses Tierchen "Stiff Horse's Neck". Beide verzichten ebenso wie Harry MacElhone in "Harry's ABC..." (1919) auf jeglichen Zusatz von Cocktailbitters.
Hm. Also ich bin jetzt kein bisschen klüger als vor dieser kleinen Studie. Offenbar gab es Jahrzehnte lang keine strikte Linie außer "spiralförmige Schale und Ginger Ale". Auch recht. Was ich aber sicher weiß ist, dass mir das Pferdchen mit einem sanften (z.B. "Maker's Mark" oder "Pure Kentucky XO") wie mit einem kräftigeren Bourbon (z.B. "Wild Turkey Rare Breed") ebenso gut mundet wie mit einem würzigen Rye (z.B. "Sazerac 18y"), denn die Verbindung mit der frischen Zitronenzeste, feinen Bitters und einem spritzigen Ginger Ale ergibt eine belebende und bestens ausbalancierte Mischung. Mittlerweile hat sich nach meinen Beobachtungen die Zubereitungspraxis des Münchner Lokals "Schumann's" verbreitet, wo der Angostura auf die Innenseite der Zitronenspirale aufgetragen wird. Sehr elegant!
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