Selten wird mir die Ehre zu teil, dass sich hier ein Gastautor zu Wort meldet. Und ganz selten ist dieser dann auch noch DER Fachmann auf seinem Gebiet in Europa. Ehrlich gesagt, war beides in der über 100 Beiträge langen Geschichte von whatadrink! noch nie der Fall. Daher ist der folgende Artikel, der ausschließlich die Meinung des Verfassers und nur des Verfassers widerspiegelt, der inhaltlich fundierteste und letztlich beste auf diesem bescheidenen Blögchen. Vielen Dank!
Doch genug der Vorrede. Nachdem die gesetzgeberischen Absichten der mexikanischen Behörden zur Abfassung einer neuerlichen Norm zu Agavenbränden, genannt NOM-186, zuletzt im englischsprachigen CLASS Magazine erörtert wurden, mache ich die Bühne frei für Axel Huhn, Mezcalimporteur aus Berlin, denn der redet...
Klartext zur NOM-186 – Immer gut zu wissen, was man unterschreibt!
In den letzten Wochen hat die Vorlage zur NOM-186 und die Gesetzesvorlage zum Schutz des Wortes „Agave“ in Mexiko einigen Unmut bei verschiedenen Betroffenen innerhalb der mexikanischen Gesellschaft hervorgerufen. Auf Initiative von Dr. Patricia Colunga und anderen mexikanischen Akademikern auf dem Gebiet der Ethnobotanik wurde eine Petition gegen diese Gesetzesinitiative ins Leben gerufen und von unterschiedlichsten Gruppen und Einzelpersonen inner- und außerhalb Mexikos unterstützt: Wissenschaftler, Kleinproduzenten, Gastronomen und verschiedene staatliche Stellen. Alleine diese merkwürdigen Allianz wäre Grund genug für einen näheren Blick auf deren Anlass, mehr jedoch die - vorsichtig ausgedrückt - recht unscharfe Berichterstattung in diversen Medien zu diesem Thema.
Zum allgemeinen Verständnis: Seit Jahrhunderten brennen die Menschen in Mexiko Schnaps aus Agaven, dessen generischer Name Mezcal ist. Da seit 1994 eine geschützte Herkunftsbezeichnung für Mezcal (NOM-070 mit Angaben zu Region, Rohmaterial und Verarbeitungsvorschriften) existiert, ist die Verwendung des Begriffes Mezcal als Überbegriff nunmehr formal falsch, was offenbar zu Missverständnissen bei der Presseberichterstattung über diese Petition geführt hat. Die Verfasserin verwendet darin den Begriff Mezcal nach wie vor - und sehr bewusst - als Sammelbegriff für alle Brände aus Agaven, unabhängig von einem Gebietsschutz, und unterscheidet die Brände aus den geschützten Herkunftsregionen lediglich als Produkte „de las DO (Denominación de Orígen) Tequila, Mezcal y Bacanora“ (dt: „Produkte aus den geschützten Gebieten für Tequila, Mezcal und Bacanora“). Der vorliegende Entwurf für eine NOM-186 behandelt ausschließlich Brände OHNE Gebietsschutz, also weder Tequila, Mezcal oder Bacanora! Dies ist auch der Grund, weshalb sich unter den Unterschriften auf der Petition keine Produzenten dieser Produkte aus den geschützten Regionen finden, auch keine Kleinproduzenten.Es finden sich jedoch eine Vielzahl von Unterzeichnern aus den Reihen der Raicilla-Hersteller, einem Agavenbrand aus Jalisco, also dem Schutzgebiet des Tequila. Raicilla wird hauptsächlich aus der waldbewohnenden Agave inaequidens (umgs.: Lechuguilla) gewonnen, aber auch aus weiteren Arten, jedoch nicht aus A. tequilana Weber und darf somit nicht als Tequila vermarktet werden. Zwar sind Hersteller dieser Kategorie auf dem besten Wege, einen eigenen Gebietsschutz und eine eigene Norm zu erarbeiten, diese Anstrengungen werden jedoch vom vorliegenden Gesetzesvorschlag durch eine sehr perfide Festlegung torpediert: Den Herstellern nichtgeschützter Agavendestillate ist es untersagt, ihr Rohmaterial innerhalb der Gebiete eines Produktes mit geschützter Herkunft anzupflanzen oder zu ernten! (Absatz 3.2) Kurz und gut: Wird diese Norm verabschiedet, stehen die Raicilla-Hersteller ohne Agaven da. Sie könnten zwar Agaven aus anderen Regionen einkaufen, dies ist jedoch...
1. diesen Menschen finanziell unmöglich, es wäre
2. keine genuine Raicilla mehr, es würde
3. das Ende der Raicilla-Agaven als Kulturpflanzen –und somit deren Verschwinden- in dieser Region bedeuten und
4. einen Gebietsschutz für Raicilla für alle Zeiten unmöglich machen, da dieser als wesentlichen Bestandteil stets die Gewinnung des Rohmaterials innerhalb seiner Grenzen voraussetzt.
Es existiert bereits ein Organ, welches die Kontrollaufgaben für eine DO übernehmen könnten, nämlich das Consejo Mexicano Promotor de la Raicilla A.C., mit der Rechtsform einer gemeinnützigen Gesellschaft, wie es bei Mezcal, Tequila und Bacanora der Fall ist. Diese wurde von Raicilla-Produzenten 1999 als Interessengruppe gegründet, um sich gegen Großindustrie und Politik durchsetzen zu können. Weitere Hersteller aus Jalisco, die ihre Produkte Mezcal nennen, haben wohl aus den gleichen Gründen unterzeichnet. Ich gehe davon aus, dass deren Produkte nicht aus A. tequilana Weber hergestellt werden. Hierauf bezieht sich Colungas Kritik unter Punkt 3) „La destrucción de una parte del patrimonio biológico y cultural de los mexicanos” der Petition.
Die zwei weiteren, wichtigen Festlegungen der neuen Norm sind die Schaffung der Kategorien „Aguardiente de Agavácea“ und „Destilado de Agavácea“ für Agavenbrände, welche außerhalb der DOs hergestellt werden und bisher als „Destillado de Agave“ bezeichnet werden mussten. Diese werden wie folgt definiert:
Aguardiente de Agavácea hat einen Alkoholgehalt von 35% bis 55% Alc.Vol. und MUSS aus 51% Agave und 49% Fremdzuckern hergestellt sein. Während bei Mezcal (max. 20% Fremdzucker) und Tequila (max 49% Fremdzucker) lediglich Obergrenzen festgesetzt sind, ist die Proportion hier verbindlich! Sonst könnte ein findiger Brenner ja auf die Idee kommen 99,9% Agaven und nur 0,1% Fremdzucker zu verarbeiten und somit die Norm zu umgehen, ohne eine wahrnehmbare Qualitätseinbuße an seinem Produkt hinnehmen zu müssen.
Destilado de Agavácea hat einen Alkoholgehalt von 25% bis weniger als 35% Alc.Vol. und darf unter Verwendung von höchstens 49% Fremdzuckern hergestellt werden, also auch mit 100% Agave. Aber eben nur mit einem für eine Spirituose lächerlich geringen Alkoholgehalt! Außerdem kritisiert die Petition die Wortwahl: Die Familie der Agavaceae (heute: Agavoideae) umfasst acht Gattungen, wovon lediglich eine die Agave ist, was dem im Vorwort definierten Ziel der NOM-186, nämlich dem Schutz des Konsumenten, entgegensteht. Die Bezeichnung Agave erklärt das Produkt viel genauer. Außerdem ist as Wort Aguardiente in Mexiko eine despektierliche Bezeichnung, ähnlich wie Booze oder Sprit. Ein kleiner positiver Lerneffekt der ganzen Diskussion könnte jedoch sein, dass die ewige Mär von der Agave als Liliengewächs für alle Zeiten verschwindet – Die Agave ist ein Agavengewächs, eine Agavoideae! Punktum!
An dieser Stelle noch ein Sidekick bezüglich korrekter Nomenklatur: Diese Vorlage behandelt die Einordnung der Spirituosen als „Brände aus Agavaceae“ also aus Pflanzen der Familie der Agavengewächse. Diese trug zwar bis vor zwei Jahren den Namen Agaveceae, es erfolgte aber seitdem eine botanische Neuordung und die Familie wurde in Agavoideae umbenannt. Wer Leuten vorschreiben will, aus welchen Pflanzen sie welche Produkte herzustellen haben, sollte doch in der Lage sein, diese korrekt zu benennen. Und diese Benennung erfolgt nun mal auf Grundlage wissenschaftlicher Ordnungssysteme, wenn es um Gesetze geht. Ähnliches ist bei der Tequilanorm zu bemängeln, die allen Ernstes das Rohmaterial mit den Worten „Agave de la especie tequilana weber variedad azul“ beschreibt. Diese Pflanze existiert in der Botanik nicht, Azul ist der umgangssprachliche Name für die Agave tequilana Weber, hier wurden vom Gesetzgeber wohl Äpfel und Birnen durcheinandergeworfen.Jenseits von Terminologien würden die oben genannten Festlegungen das Ende aller Agavendestillate als potentielle Premium-Spirituosen für den Exportmarkt bedeuten, wenn sie außerhalb der geltenden DOs hergestellt werden. Trotzdem wäre zu erwarten, dass diese Produkte für den Eigenkonsum weiterhin existieren, wie sie es bisher - trotz verschiedener Verbote in der Vergangenheit - auch getan haben. Der Effekt wäre also eine Restriktion des freien Marktes zu Gunsten des Schwarzmarktes mit dem entsprechenden Marktvorteil für die Hersteller aus Regionen der DOs.
Es sei hier noch auf den Vorschlag zum Begriffsschutz für das Wort Agave eingegangen, welches nach dem Willen der Vertreter der NOM-186 exklusiv für Hersteller von Tequila, Mezcal und Bacanora vorbehalten sein soll. Das Wort Agave ist die wissenschaftliche Bezeichnung einer Pflanzengattung und somit unter internationalen Standards nicht schutzwürdig. Konkret bedeutet das beispielsweise, dass Agavendicksaft in Mexiko, dem Ursprungsland, nicht mehr so heißen darf, bei uns aber schon. Und da Mexiko Mitglied in der UN und in vielen Handelsvereinbarungen mit der halben Welt ist, verstößt die Norm klar gegen internationales Recht. Apropos UN: 2010 wurde die mexikanische Küche als „Intangible Cultural Heritage of Humanity“ in die Weltkulturerbeliste eingetragen. Die Initiative zur NOM-186 steht den Kriterien der Auswahl und Eintragung diametral entgegen und man fragt sich, warum sich die UNESCO noch nicht zu diesem Sachverhalt in der Öffentlichkeit geäußert hat. Jetzt wäre ein guter Augenblick dazu.
Die Norm würde übrigens auch für Agavendestillate aus anderen Ländern gelten, die im Rest der Welt als Agavenbrände und nicht nur als Brände aus Agavaceae deklariert werden dürften. Wer glaubt, diese Produkte gäbe es überhaupt nicht, sei eines besseren belehrt, es gibt sie bereits aus Südafrika und Indien. Und wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass Whisky aus Japan, Indien oder Österreich jemals eine internationale Rolle spielen könnten?
Dies sind die konkreten Kritikpunkte der Petition am Vorschlag zur NOM-186, die Anlage dieser Kritik geht aber sehr viel weiter. Und das ist auch gut so, haben doch die bereits geltenden Gesetzeswerke maßgeblichen Schaden an Transparenz, Tradition, Nachhaltigkeit und Qualität der existierenden Agavenbrände mit DO erzeugt. Einige Beispiele:
- Die Festlegung des Rohmaterials auf A. tequilana Weber bei Tequila hat bereits zu einem immensen Verlust an Biodiversität geführt. Es gibt reichhaltige Dokumentationen über den Gebrauch verschiedenster Agavenarten in Jalisco zur Spirituosenherstellung vor Einführung der Tequila-Norm.
- Spirituosen sind in Mexiko nur bis 55% Alc.Vol marktfähig, Agavenbrände haben oft sehr viel mehr. Mezcal de Puntas (das erste Segment aus dem Mittellauf der zweiten Destillation) hat beispielsweise über 80% und ist eine traditionelle Spirituosenspezialität. Dieser Punkt wird in der Petition nicht weiter hervorgehoben, weil es politisch unklug wäre, die konkreten Ziele durch Kritik an einer allgemein gültigen Gesetzeslage (obschon diese sinnlos ist) zu gefährden.
- Die physisch-chemischen Vorgaben in der Norm für Mezcal sind für viele Produkte nicht erreichbar, weshalb es viele Destillate nicht in den offiziellen Markt schaffen, obwohl sie seit Jahrhunderten in dieser Art hergestellt und konsumiert werden.
- Die geltenden DOs für Mezcal und Tequila sind keine einheitlichen geografischen Zonen, es handelt sich vielmehr um vereinzelte Flecken auf der Landkarte ohne einheitliche Rahmenbedingungen. Es sind Produkte der Politik, nicht der Herstellungsmethoden oder –tradition und stehen somit dem eigentlichen Gedanken einer geschützten Herkunft entgegen. Schon gar nicht sind sie Garanten für eine besondere Qualität.
- Die aktuelle Etikettierung sogenannter Mixtotequilas genügt in keinster Weise den Standards von Konsumentenschutz und Vollständigkeit. Oder wie soll der unbedarfte Käufer wohl darauf schließen, dass der Inhalt einer Flasche mit der Aufschrift „Elaborado de Agave Azul“ (Sierra Tequila) oder „Made from fresh Blue Agave“ (Sauza) lediglich die Hälfte aus Agaven besteht, während die andere Hälfte keinerlei Erwähnung findet?
- Traditionell gibt es keine Verwendung von Fremdzuckern bei Agavenbränden. Niemals und nirgends! Auch dieses ist ein Konstrukt der Großindustrie in Allianz mit der Politik. Traditionelle Brenner wehren sich seit Inkrafttreten der Mezcalnorm NOM-070 gegen die dort festgelegte Kategorie der Mixtos – bisher vergeblich.
- Traditionelle Brenner lagern ihre Spirituosen niemals in Holzfässern, wie es für Reposado und Añejo aber zwingend in allen geltenden Normen vorgeschrieben ist. Dafür werden traditionelle Lagermethoden in Tontöpfen oder Glasballons nicht berücksichtigt, obwohl diese Jahrhunderte alt sind. Ein Mezcal, welcher 10 Jahre im Tontopf reifte, muss als Joven (dt.: jung) verkauft werden.
Somit kann man nachvollziehen, dass in der Petition keine Kritik am Verbot für Fasslagerung in der neuen NOM-186 enthalten ist. Die Autoren der Petition halten Fasslagerung und Gebietsschutz ohnehin für Unsinn, wobei große Produzenten, Importeure und Vertriebe dies wohl anders sehen. Entsprechend finden wir eine sehr heterogene Unterstützerliste auf der Petition. Hierzu noch folgende interessante Punkte:
- Die beachtliche Nummer an Bartendern unterstützt hier eine Getränkekatagorie, von der sie bisher niemals auch nur eine einzelne Flasche in Händen hielt, geschweige denn die eine Rolle in ihren Bars spielt. Zum Glück ist diese Unterstützung trotzdem richtig!
- Während David Suro-Piñera, Chef der Tequilamarke "Siembra Azul" und Gründungsmitlied der Petitionsunterstützer Tequila Interchange Project (TIP) weiterreichenden gesetzlichen Schutz von Tequila fordert, ist dies nach Meinung der Autoren der Petition kontraproduktiv. Mezcal (Gebietsschutz seit 1994) hat einige Jahrzehnte weniger Gebietsschutz im Rücken als Tequila, kann aber mit den qualitativ besseren Produkten aufwarten, trotz und wegen fehlender staatlicher Regulierung. Das Inkrafttreten der Mezcalnorm hat seinerzeit unter den Kleinproduzenten sowohl inner- als auch außerhalb der DO massiven Unmut hervorgerufen und sie hätten gerne darauf verzichtet. Im Gegenzug gründeten einige von ihnen die Gruppe Mezcales traditionales de los Pueplos de México, welche eigene Standards für handwerklich hergestellte Mezcals erarbeitet hat. Abschließend darf ich hier die Barcommunity auffordern, die Petition zu unterstützen, sie ist gut und von integeren Leuten verfasst, die wissen, worum es geht. Und danach gilt es, diese auch weiterhin in ihrem Bestreben zu unterstützen, bereits existierende und kontraproduktive Gesetzeswerke zu modifizieren! Ein hervorragender Artikel (Guide to Geographical Indications: Linking products and their origins) zu DOs und deren Auswirkungen am Beispiel von Mezcal existiert von Mitunterzeichnerin Catarina Illsley Granich, erstellt für die UNESCO.
Mehr noch als diese Form der Meinungsäußerung ist jedoch Euer Kaufverhalten wichtig, um auf Märkte Einfluss zu nehmen. Wer hier unterzeichnet und morgen wieder Mixtotequila kauft, hat nichts verstanden. Lasst die Industrieware in den Regalen stehen, glaubt dem Gerede der Brand Ambassadors nicht und informiert Euch selbst! Nie war es so einfach, an Informationen zu kommen. Ein Markt besteht aus Angebot UND Nachfrage. Die eine Hälfte seid Ihr, und noch dazu diejenige am längeren Hebel!
Der Link zur Onlinepetition
Update: In der aktuellen Ausgabe (Issue 42) des digitalen "CLASS magazines" wird zum einen zu Äußerungen der mexikanischen Regierung Stellung genommen und zum anderen einige Mezcals der Marken "Alipús" und "Los Danzantes" verkostet.
(Die Fotos wurden der Internetpräsenz des Gastautors mit dessen Genehmigung entnommen.)
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